Burn-out-Ranking im manager magazin.
Oder: Wie lügt man mit Statistik?
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist das Topthema für Unternehmen in 2012 und wird es voraussichtlich auch in die Prioritätslisten des Management im kommenden Jahr schaffen. Da interessieren konkrete Fallzahlen der wichtigsten deutschen Unternehmen natürlich besonders, die das Versagen verdeutlichen, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Das heißt: Wie viele Mitarbeiter erkranken in den einzelnen Firmen stressbedingt aufgrund von Burnout?
Managermagazin hat diese Frage vermeintlich in ihrer aktuellen Ausgabe in Form eines Burnout-Ranking auf der Grundlage der sog. „Asklepios-Studie“ beantwortet. Mit größter Neugier habe ich die fünf Textseiten der Titelstory (so wenig Raum für eine Titelstory?) gelesen und muss als wissenschaftlich arbeitende Psychologin auf die Unzulänglichkeiten dieser Meinungsmache hinweisen. Hier die zentralen Ungereimtheiten des Burn-out-Ranking im manager magazin „Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen“ (Heft 6/2012):
- Kein Ranking! Die Statistik ist unübersichtlich aufbereitet und daher für den Leser unaussagekräftig: Ein Ranking impliziert, dass entweder das Unternehmen mit den meisten Burnout-Fällen oder den wenigsten am Anfang steht. Die Liste ist aber alphabetisch sortiert. Außerdem ist die geschätzte Zahl nicht ins Verhältnis zu den Mitarbeiterzahlen in Deutschland gesetzt worden – was bedeutet, dass der Leser das mit dem Taschenrechner selbst tun müsste. Vielleicht ein Zugeständnis an die Unternehmen, da die Schätzungen der Burnout-Fälle so unhaltbar sind?
- Unzureichende Basis der Schätzung: Die einzige Angabe über die Schätzung von Ober- und Untergrenze der Burnout-Zahlen ist die, dass die Basis des Rankings durch die Zahl der Patienten in stationärer Behandlung der Asklepios-Klinikkette bestimmt wird. Es fehlen Angaben zur Stichprobengröße, zum Erhebungszeitraum, zum Umgang mit Patienten in ambulanter Behandlung oder denjenigen, die drei bis vier Monate auf einen Behandlungsplatz warten. Angaben zur Abgrenzung bzw. Integration anderer stressbedingter psychischer Störungen wie der Depression fehlen ebenfalls. Und das wäre entscheidend, da Burnout in keinem offiziellen diagnostischen Manual als Krankheit geführt wird.
- Privat versus gesetzlich: Es bleibt vollkommen unklar, wie von in Deutschland 11 Prozent privat Versicherten auf alle, auch gesetzlich versicherten, Mitarbeiter unterschiedlicher Konzerne geschlossen wird. Diese Angabe wäre essentiell, da unterschiedliche Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ob Führungskräfte oder Mitarbeiter anfälliger sind für Burnout. Erstere eher privat, letztere sind eher gesetzlich versichert. Somit kann die angegebene Schätzung die tatsächliche Zahl weit über- oder auch unterschätzen. Je nach Datenbasis!
- Die gute Asklepios-Studie: An zahlreichen Stellen im Text wird die angeblich so bahnbrechende, exklusive Studie der Asklepios-Kette über die Maßen gelobt. Auf der Webseite der Klinikkette (18.500 Betten in Deutschland nur für Privatversicherte; komplettes Krankenhausspektrum) wird die Studie unter der sonst sehr ausführlich dargestellten Presseseite nicht erwähnt. Auch sonst ist sie nicht auffindbar. Eine Antwort des Mediendepartments der Klinik sowie der Autoren des Artikels dazu stehen aus.
- Der Datenschutz: Ja wo ist der? Wie kann eine private Klinikkette die Arbeitgeber ihrer Patienten in Verbindung mit psychischen Leiden statistisch auswerten und veröffentlichen? Dazu müsste jeder Patient ausdrücklich zugestimmt haben. In Veröffentlichungen dieser Art müssen zentrale Aspekte der Wahrung der Privatsphäre und des Datenschutzes beschrieben werden, besonders wenn eine Verletzung dieser Rechte nahe liegen könnte.
- Verleumdung: Was, wenn die nicht näher erläuterten Schätzungen falsch sind? Dramatisch wäre das beispielsweise für das Arbeitgeber-Image der Allianz, die im Artikel gar nicht gut wegkommt. Gut, dass die Unternehmen wenigstens die Möglichkeit hatten, sich dazu zu äußern. Die Antworten der Unternehmen finden sich allerdings nur auf manager magazin online, wo der Artikel wiederum nur für Abonnenten zugänglich ist…
Wer zahlt, schafft an. Und wer ist das in diesem Fall? So wie sich der derzeitige Leitartikel des manager magazins „Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen“ liest, ist es die private Asklepios-Klinikkette. Es soll den Lesern des Magazins (hoffentlich alle privat versichert und in Entscheiderpositionen) klar werden, dass Sie sich – und ihre Mitarbeiter – im Bedarfsfall ganz vertrauensvoll an Asklepios wenden können. Das schafft wunderbares Cross-Marketing: das manager magazin hat das scheinbar erste „objektive“ Burn-out-Ranking der Dax-Konzerne veröffentlicht und die Klinikkette bekommt ihren Namen in positivem Empfehlungslicht an vorderster Front präsentiert. Objektiver Journalismus und nachvollziehbare Statistik sind das nicht!
Wer sich unterhaltsam über weitere Formen informieren möchte, wie Statistiken irreführend dargestellt werden, dem sei folgender Klassiker empfohlen: „So lügt man mit Statistik“ von Walter Krämer im Piper Verlag als Paperback.
Ihre Nicole Hövel
Links:
www.manager-magazin.de/magazin/print/index-2012-6.html
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